In meiner Arbeit als Therapeutin sehe ich täglich, wie die digitale Welt Beziehungen formt und beeinflusst. Überraschend ist das zunehmende Auftreten von “Ghosting”, bei dem scheinbar feste Verbindungen abrupt und ohne Vorwarnung enden. Die Betroffenen stehen dann vor der Herausforderung, dieses plötzliche Schweigen zu verstehen und mit den daraus resultierenden Unsicherheiten umzugehen.
Was genau ist Ghosting?
Ghosting bezeichnet das abrupte Ende jeglicher Kommunikation. Es ist, als würde jemand, mit dem man in Kontakt stand, plötzlich wie ein Geist aus dem Leben verschwinden. Dies kann in Freundschaften, romantischen Beziehungen oder sogar im beruflichen Kontext geschehen.
Die Gründe hinter dem Ghosting
Die Gründe für Ghosting können vielfältig sein. Oft spiegeln sie tiefer liegende emotionale Muster wider, beispielsweise aufgrund von Schwierigkeiten im Bindungsverhalten.
Menschen mit Bindungsängsten fühlen sich oft innerlich zerrissen, wenn Beziehungen intensiver oder enger werden. Sie können sich unwohl oder überfordert fühlen. So kann Ghosting zur Fluchtstrategie werden, um dieser als überwältigend wahrgenommenen Nähe zu entkommen. Dieses Verhalten ist nicht nur ein Versuch, Distanz zu schaffen, sondern dient oft auch als Selbstschutz. Die tiefe Angst, verletzt zu werden, lässt die Betroffenen glauben, dass es sicherer ist, andere auf Abstand zu halten. Anstatt sich diesen Emotionen zu stellen und sie zu verarbeiten, wählen sie den Weg des geringsten Widerstands und brechen den Kontakt ab.
Die psychischen Auswirkungen von Ghosting
Das Phänomen des Ghostings hinterlässt bei den plötzlich Verlassenen oft eine tiefe emotionale Verwüstung. Dieses unvorbereitete und unerklärliche Verschwinden kann zu einer komplexen Mischung aus Emotionen und Gedanken führen, die weit über das einfache Gefühl der Enttäuschung hinausgeht.
Zu den dominierenden Gedanken, die sich in den Köpfen der Betroffenen festsetzen, gehören Selbstzweifel. Die Verlassenen beginnen, jedes Detail ihrer Interaktionen mit der Person, die sie “geghostet” hat, zu überdenken. Fragen wie “Habe ich etwas falsch gemacht?”, “War ich nicht gut genug?” oder “Hätte ich etwas anders machen sollen?” können das Denken beherrschen. Diese Selbstzweifel können das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen erheblich beeinträchtigen, da die Betroffenen das Gefühl haben, in irgendeiner Weise unzureichend zu sein.
Zusätzlich zur Selbstkritik ist Verwirrung ein weiteres vorherrschendes Gefühl. In einer Welt, in der klare Kommunikation oft als Schlüssel zu gesunden Beziehungen betrachtet wird, hinterlässt das Fehlen einer Erklärung oder eines Abschlusses eine Lücke. Diese Lücke füllt sich oft mit Unsicherheit und dem ständigen Bedürfnis nach Antworten. Das Nichtwissen, was wirklich passiert ist, kann zu einer Vielzahl von Symptomen wie Schlaflosigkeit, ständigem Grübeln oder tiefer Traurigkeit führen.
Psychotherapie kann helfen
Das Erlebnis des Ghostings kann tiefgreifende emotionale Narben hinterlassen, die ohne angemessene Unterstützung schwer zu bewältigen sind. Eine Psychotherapie kann dabei helfen, die tief verwurzelten Selbstzweifel und Unsicherheiten, die durch das Ghosting entstehen, zu erkennen und zu bearbeiten. Anstatt sich selbst die Schuld zu geben oder sich als unzureichend zu betrachten, können Betroffene lernen, das Ghosting als das zu sehen, was es oft ist: ein Ausdruck der Unfähigkeit oder des Unwillens der anderen Person, mit schwierigen Emotionen oder Situationen umzugehen.
Oft ist es im Rahmen einer Psychotherapie auch hilfreich, das Erlebnis des Ghostings in einen größeren Kontext des eigenen Lebens und der eigenen Beziehungsmuster zu stellen. Durch ein tieferes Verständnis ihrer eigenen Geschichte und ihrer Beziehungsdynamiken können Betroffene oft Muster erkennen und Strategien entwickeln, um in der Zukunft gesunde und erfüllende Beziehungen zu führen.
Abschließende Gedanken
Ghosting ist zweifellos ein schmerzhaftes Erlebnis, das tiefe emotionale Wunden hinterlassen kann. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass es Wege gibt, diese Wunden zu heilen und zu lernen, neue Kontakte vertrauensvoll einzugehen. Psychotherapie kann ein wertvolles Werkzeug sein, um den Schmerz zu verarbeiten und zu einem Gefühl des Gleichgewichts und der Selbstakzeptanz zurückzukehren.